In vielen Therapieschulen ist es gebräuchlich sich mit den Ursachen und aufrechterhaltenden Faktoren von Beschwerden zu beschäftigen. Die Behandlung richtet sich demzufolge auf die Pathologie. Dieser Fokus kann effektiv Symptome lindern, aber nicht zwingend Wohlbefinden erhöhen. Damit Genesung anhält, genügt es nicht, lediglich Symptome zu lindern. Es sollte Positives (wie beispielsweise Positive Emotionen) ebenfalls gefördert werden, da dies auch vorbeugend gegen weitere Rückfälle wirkt. Das Erleben positiver Emotionen schützt beispielsweise vor depressiven Symptomen (Gillham & Reivich, 1999) und gesteigertes Wohlbefinden wirkt protektiv bei chronischem und akutem Lebensstress (Ryff & Singer, 2000). Aber auch Charakterstärken wie Tapferkeit, Hoffnung, Optimismus, emotionale und soziale Intelligenz, Spiritualität, Ehrlichkeit und Ausdauer können als Schutzfaktoren gegen psychologische Störungen wirken (Rashid & Anjum, 2008).
Keyes (2005) konzipiert psychische Gesundheit als ein vollständiger Zustand, in welchem Individuen frei von Psychopathologie sind und hohes emotionales, psychisches und soziales Wohlbefinden aufweisen. Psychotherapie sollte demnach beide Aspekte beinhalten.
Im Folgendem werden verschiedene Interventionen angeführt, die die vorhandenen Psychotherapieschulen zu erweitern versuchen, indem sie ihren Fokus auf das Steigern von Freude und Wohlbefinden legen. Im letzten Teil soll die Positive Psychotherapie genauer beschrieben werden.
Die Well-being Therapie (Fava, 1999) basiert auf dem multidimensionalen Modell des psychologischen Wohlbefindens (Ryff & Singer, 1996, 1998). Die Well-being Therapie setzt am Meistern von Umweltanforderungen, dem persönlichen Wachstum, dem Sinn im Leben, der Autonomie, der Selbst-Akzeptanz und an positiven Beziehungen mit anderen an. Die Therapie besteht darin, den Fokus auf Momente des Wohlbefindens zu lenken, diese schriftlich festzuhalten und die Selbstbeobachtung zu fördern. Well-being Therapie kann massgeblich Symptome affektiver Störungen reduzieren und Wohlbefinden steigern (Rashid & Anjum, 2008).
Die „Quality of life therapy“ von Frisch (2006) beinhaltet sowohl Aspekte der kognitiven Therapie als auch Aspekte der Positiven Psychologie. Freude wird in dieser Therapie als die Erfüllung wichtiger Ziele, Bedürfnisse und Wünsche in 16 wertvollen Lebensbereichen (Gesundheit, spirituelles Leben, Arbeit, spielen, lernen, Kreativität, helfen, lieben, Freundschaft und Gemeinschaft) betrachtet. Eine Bibliotherapiestudie, die die Wirksamkeit der Qualitity of life therapy untersuchte, ergab, dass depressive Personen, nach der Therapie nicht mehr als depressiv klassifiziert wurden und zudem höhere Werte in Lebensqualität und Selbstwirksamkeit aufwiesen (Grant, Salcedo, Hynan, & Frisch, 1995).
Im Gegensatz zu konventionellen Therapieschulen, die vor allem Probleme, negative Emotionen, Erlebnisse und Charakteristiken besprechen, legt die Positive Psychotherapie ihren Fokus auf das Diskutieren positiver Emotionen, Erfahrungen und Charakterstärken, schöner Erinnerungen und sinngebender Aktivitäten. Sie nutzt die Ressourcen der KlientInnen. Anhand systematischer Übungen sollen PatientInnen positive Erlebnisse sammeln. Dieser Prozess, der sich auf positive Aspekte konzentriert, stärkt die Therapeuten-Klienten Beziehung und geht mit einer veränderten Sichtweise über den Therapeuten einher. Er wird nicht nur als erfahrene Person, die Störungen diagnostiziert und therapiert wahrgenommen, sondern wird zum Begleiter bei der Entwicklung des Potentials des Patienten/der Patientin. Psychotherapie sollte sich nicht auf das Diskutieren negativer Emotionen und Ereignisse beschränken, sondern die Aufmerksamkeit des Klienten/der Klientin auf positive Gefühle, Gedanken und Erfahrungen lenken.
Positive Psychotherapie basiert auf Seligman’s Modell (2002) des Glücks, welches sich aus positiven Emotionen, Engagement und Sinn zusammensetzt.
Der erste Baustein beinhaltet den Aufbau positiver Emotionen. Positive Emotionen sind eng mit der körperlichen und psychischen Gesundheit verbunden (Fredrickson & Losada, 2005). Positive Emotionen können den Aufmerksamkeitsumfang erweitern und die Denkweise von Menschen ändern (Fredrickson & Branigan, 2005; Chesney, Darbes, Hoerster, Taylor, & Chamber, 2005) und in Folge zu erhöhtem Wohlbefinden führen, was wiederum die sozialen und psychologischen Ressourcen aufbaut und schliesslich die Lebenszufriedenheit erhöht (Fredrickson, 2001). Positive Emotionen wirken protektiv gegen Depressionen und andere psychologische Probleme (Rashid & Anjum, 2008). Sie können beispielsweise durch Dankbarkeits- und Vergebungsübungen gesteigert werden. In Bezug auf schlechte Erlebnisse, die mit negativen Emotionen einhergehen, können Klienten beispielsweise einen Vergebungsbrief schreiben und so Ärger und Bitterkeit in neutrale oder sogar positive Emotionen umwandeln. Zudem kann Dankbarkeit in Bezug auf positive und negative Erlebnisse besprochen und geübt werden. Eine tiefe Reflektion über ein positives Ereignis, das nicht genügend gewürdigt wurde, kann durch ein Gespräch eine neue Bedeutung erhalten und so die depressive Stimmung von Patienten verbessern. Ausserdem ist es möglich, dass in der Therapie Handlungen, die zu Freude und Zufriedenheit führten, wieder erinnert werden und so negative Emotionen verhindern.
Der zweite Baustein zum Glück ist das Engagement, welches synonym mit Csikszentmihalyi’s Flow (Csikszentmihalyi, 1990) zu verstehen ist. Engagement kann gesteigert werden, indem Charakterstärken identifiziert und vermehrt eingesetzt werden. Vor allem der Einsatz von Signaturstärken geht mit einem belebenden Gefühl einher, das Wachstum ermöglicht und zu Glück führt. In der Positiven Psychotherapie wird der Klient dazu motiviert Aktivitäten nachzugehen, in denen Signaturstärken Verwendung finden. Solche Aktivitäten sind beispielsweise Schachspielen, Basketball spielen, Musik komponieren, Lesen, Gedichte schreiben, soziale Interaktion, backen, mit Kindern spielen, tanzen, anderen helfen und so weiter. KlientInnen sollen in der positiven Psychotherapie lernen, dass Glück nicht einfach passiert, sondern etwas ist, was sie selbst geschehen lassen können, indem sie aktiv ihre Signaturstärken einsetzen und sich in Folge authentisch, erfüllt und glücklich fühlen.
Der dritte Baustein zum Glück ist das Verfolgen von Sinn. Die Verwendung von Signaturstärken, um etwas Grösserem als man selbst ist zu dienen, kann Sinn schaffen. Viktor Frankl (1963) betonte, dass Glück als unbeabsichtigte Konsequenz mit Arbeiten an einem höheren Ziel einhergeht. Personen streben nach einem Leben, dass für sie selbst sinnvoll ist und auch für andere einen Unterschied macht. Sinn kann beispielsweise durch enge Beziehungen, sozialen Aktivismus, Calling und Spiritualität entstehen. Ein sinnvolles Leben resultiert in gesteigerter Lebenszufriedenheit und dem Gefühl, gut gelebt zu haben.
Referenzen
Chesney, M. A., Darbes, L. A., Hoerster, K., Taylor, J. M., & Chamber, D. B. (2005). Positive emotions: Exploring the other hemisphere in behavioral medicine. International Journal of Behavioral Medicine, 12, 50—58.
Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The psychology of optimal experience. New York: HarperCollins.
Fava, G. (1999). Well-being therapy: Conceptual and technical issues. Psychotherapy and Psychosomaties, 68, 171—179.
Frankl, V. E. (1963). Man’s search for meaning: An introduction to logotherapy. New York: Washington Square Press.
Fredrickson, B. L. (2001). The role of positive emotions in positive psychology: The broaden-and-build theory of positive emotions. American Psychologist, 56, 218—226.
Fredrickson, B. L., & Branigan, C. (2005). Positive emotions broaden the scope of attention and thought-action repertoires. Cognition and Emotion, 19, 313—332.
Fredrickson, B. L., & Losada, M. (2005). Positive affect and the complex dynamics of human flourishing. American Psychologist, 60, 678—686.
Gillham, J. E., & Reivich, K. J. (1999). Prevention of depressive symptoms in school children: A research update. Psychological Science, 10, 461—462.
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Keyes, C. L. M. (2005). Mental illness and/or mental health? Investigating axioms of the complete state model of health. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 73, 539—548. doi: 10.1037/0022-006X.73.3.539.
Rashid, T., & Anjum, A. (2008). Positive psychotherapy for young adults and children. In J. R. Z. Abela & B. L. Hankin (Eds.), Handbook of depression in children and adolescents (pp. 250-287). New York, NY: Guilford.
Ryff, C. D., & Singer, B. (1996). Psychological well-being: Meaning, measurement, and implications for psychotherapy research. Psychotherapy and Psychosomatics, 65, 14—23.
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Seligman, M. E. P. (2002). Authentic happiness: Using the new positive psychology to realize your potential for lasting fulfillment. New York: Free Press.